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Der Klimawandel in der amerikanischen Wirtschaft: Immer mehr Unternehmen befürworten die Regulierung von Treibhausgasen

18. März 2008
Von Alexander Ochs

Von Alexander Ochs, New York*

The times they are a-changing, die Zeiten ändern sich, sang Bob Dylan in den 1960ern, und heute, da der Liedermacher ein großes Revival erlebt, gilt dieser Satz für eine Akteursgruppe, auf die die Emanzipations-, Friedens- und Umweltbewegung von einst so gar nicht abhob: die amerikanische Industrie. Noch vor nicht allzu langer Zeit meuterte eine selbsternannte Global Climate Coalition (GCC) von vorwiegend US-amerikanischen Unternehmen gegen jede Form verpflichtender Maßnahmen zum Klimaschutz und stellte selbst die wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels trotzig in Frage. Doch fast zeitgleich mit dem Ausstieg der Bush-Regierung aus dem Kyoto-Protokoll liefen der GCC die Mitglieder davon, 2002 schließlich löste sich die Vereinigung auf. Heute gehören einige der Opponenten von einst zu den größten Befürwortern nationaler und internationaler klimapolitischer Maßnahmen.

Freund und Feind vereint

Mehrere amerikanische Umweltorganisationen haben Dialoge mit den großen Playern der amerikanischen Industrie angestoßen. Der vom renommierten Pew Center on Global Climate Change organisierte Business Environmental Leadership Council (BELC) war lange Zeit die größte dieser im Bereich Klimaschutz aktiven Unternehmensvereinigungen. Seine 42 Mitglieder aus so unterschiedlichen Branchen wie Chemie, produzierendes Gewerbe, IT, Öl, Gas und Transportwesen, darunter Giganten wie Boeing, Hewlett-Packard und General Electrics, repräsentieren knapp drei Billionen US-Dollar Marktkapitalisierung und nahezu vier Millionen Mitarbeiter. Die BELC erkennt die wissenschaftlichen Grundlagen zu Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels nicht nur ausdrücklich an, sondern fordert konkrete nationale Maßnahmen in den USA und den Ausbau der im Kyoto-Protokoll angelegten marktwirtschaftlichen Maßnahmen auf internationaler Ebene.

Inzwischen ist die BELC von der United States Climate Action Partnership (USCAP) in Mitgliederzahl und Wichtigkeit zumindest eingeholt worden. In der USCAP hat sich das Who Is Who der amerikanischen Wirtschaft (Alcan, Caterpillar, Chrysler, ConocoPhillips, Dupont, Ford, General Motors, Pepsico und einige mehr) mit einer Gruppe von führenden Umweltorganisationen (darunter erneut PEW, Environmental Defense, The Nature Conservancy und das World Resources Institute) zusammengetan, um die amerikanische Regierung aufzurufen, schnellstmöglich Gesetze zu verabschieden, um die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren.

Selbst Esso denkt um

Die meisten Mitglieder von BELC und USCAP haben sich als ersten Schritt –  teilweise äußerst ambitioniert – dazu verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen erheblich zu reduzieren. Dupont etwa, einer der weltweit größten Chemiekonzerne, hat seine Emissionen von Treibhausgasen seit 1990 bereits um 72 Prozent (!) verringert, die Bank of America strebt eine neunprozentige Reduzierung allein zwischen 2004 und 2009 an. Selbst Betreiber von Kohlekraftwerken wie AEP wollen ihre Emissionen drastisch verringern. Den Umweltorganisationen kommt neben ihrer Initiierungs- und Beratungsfunktion die wichtige Aufgabe zu, die Einhaltung der hehren Ziele zu überwachen. Neben Maßnahmen im eigenen Haus investieren viele, auch mittelständische Betriebe in sogenannte Ausgleichsmaßnahmen wie Aufforstungen oder Projekte zur Förderung erneuerbarer Energien, um den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern. Selbst die wirklich schwarzen Schafe wie etwa Exxon Mobil, seit langem der Inbegriff zynischer Unternehmenspolitik – fortgesetzte Umweltzerstörung bei gleichzeitiger Leugnung derselben – und folgerichtig der Lieblingsfeind der amerikanischen Umweltbewegung, haben in den vergangenen Monaten ein Umdenken erkennen lassen. Jahrelang hatte der amerikanische Mutterkonzern von Esso Klimaskeptiker mit Millionenspenden finanziert.

Der Sinneswandel in der amerikanischen Wirtschaft ist nicht alleine deshalb so wichtig, weil das technische Know-how der Firmen für eine Lösung des Klimaproblems enorm hilfreich sein wird. Er muss auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass der Einfluss der Industrie auf die Politik in den USA unverhältnismäßig höher ist als in Deutschland und den meisten anderen europäischen Ländern. Augenscheinlich wird das beim Umfang der Wahlkampfspenden, bei den Schutzleistungen, die die Volksvertreter im Gegenzug für Partikularinteressen zu erbringen bereit sind, oder dem undurchsichtigen Geschacher der Lobbyisten von der Washingtoner K Street. Jahrelang haben amerikanische Unternehmen aus Eigeninteresse ihren Einfluss auf den unterschiedlichsten Kanälen geltend gemacht und damit entscheidend dazu beigetragen, eine progressivere Rolle der USA in der Klimapolitik zu verhindern.

Gutes tun - aus Eigennutz

Interessanterweise scheint es nun gerade das Eigeninteresse der Unternehmen zu sein, das der Anlass zum Positionswechsel ist. Und wo auch sonst soll der Schlüssel liegen? Schließlich haben Unternehmen den ureigenen Auftrag, das Kapital ihrer Eigentümer zu mehren. Nur deren Investitionen sind sie verpflichtet. Der im Sinne der Allgemeinheit handelnde Unternehmer ist eine schöne Vorstellung, aber im real existierenden Kapitalismus zumindest die große Ausnahme. Firmeninteressen sind naturgemäß partikular; will ein Unternehmen Erfolg haben, muss es besser sein als die Konkurrenz, also dieselbe Qualität preisgünstiger liefern. In einem globalisierten Markt zählt daher zunächst einmal die Kosteneffizienz, also die Möglichkeit, ein Industriegut oder eine Serviceleistung von bestimmter Qualität so billig wie möglich zu produzieren. Im klassischen Fordismus amerikanischer Prägung haben staatliche Regulierungen im Dienste des sozialen Miteinanders oder der Erhaltung der Umwelt keinen Platz.

Mindestens vier Gründe lassen sich für die klimapolitische Neuausrichtung vieler amerikanischer Unternehmen finden: Ein erstes Motiv entfällt auf den Bereich der Personalpolitik. Für die Konzerne ist es zweifelsohne einfacher, gute Leute zu bekommen, wenn sie „auf der richtigen Seite“ stehen. Der Chef eines großen Betonherstellers, der innerhalb weniger Jahre die Wandlung vom Saulus zum Paulus vollzogen hatte, erzählte mir einst von der großen Genugtuung, die er spüre, wenn er abends seinen Kindern erzählen könne, wie viele Tonnen CO2 er tagsüber eingespart habe; er sei dadurch fast schon zu einem anderen Menschen geworden, seine Erfolge im betrieblichen Unweltschutz hätten ihn in seiner Arbeit zusätzlich motiviert. Zweifelsohne ist es für Firmen mit einer grünen Nachhaltigkeitsstrategie durchweg einfacher, die besten Leute auf dem Markt unter Vertrag zu nehmen.

Saubere Umwelt, zufriedene Belegschaft

Eine grüne Unternehmensphilosophie ist freilich beim Verkauf noch wichtiger denn bei der Anwerbung neuer und der Motivation bereits beschäftigter Angestellter. Immer mehr Kunden achten beim Einkauf auf die Umweltverträglichkeit der angebotenen Produkte. Im Gegenzug steigt der Anreiz der Anbieter, sich mit „grüner Vermarktung“ Vorteile zu schaffen. Der Anteil grüner Werbekampagnen in amerikanischen Zeitungen, Magazinen, im Radio, Fernsehen und auf Plakatwänden steigt von Monat zu Monat merklich. Auch hier kommt den Umweltverbänden die wichtige Aufgabe zu, die Glaubwürdigkeit der Firmen zu überprüfen. Gerade Großkonzerne wie Walmart, McDonald’s oder Nike sahen sich in der Vergangenheit millionenschweren Kampagnen von Umweltorganisationen ausgesetzt, die ihre im wahrsten Sinne des Wortes unsauberen Wirtschaftspraktiken an den Pranger stellten. Diese führten zu enormen Umsatzverlusten und nicht selten zu Kurskorrekturen.

Eine weitere Erklärung ist die Entstehung eines neuen, gigantischen Marktes für klimafreundliche Technologien. Mehr noch: Das Gespenst einer dritten industriellen Revolution geht um, das danach trachtet, die Grundfesten unserer gänzlich auf fossilen Energien aufbauenden Ökonomien einzureißen. Hier haben diejenigen, die früh einsteigen, die besten Chancen – sie können sich Patente sichern und haben eine gute Ausgangslage in den neu entstehenden Märkten. Wer zuletzt kommt, mahlt zuletzt. Immer mehr Amerikaner wurmt es gewaltig, dass unter anderem durch die Kyoto-Mechanismen Milliarden in China und Indien investiert werden; dass neue internationale Joint Ventures zwischen europäischen und asiatischen Firmen entstehen; und dass die Vereinigten Staaten dieses Spiel von der Seitenlinie aus betrachten. Auch der Handel mit internationalen Emissionsrechten ist so ein neuer Markt – und auf einem Markt lassen sich immer auch Gewinne erzielen, aber nur durch jene, die daran teilnehmen dürfen. Seit Bushs Kyoto-Ausstieg sind die USA hier nur Zuschauer.

Der Gouvernator geht voran

Immer mehr Beobachter gehen davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Kosten, die durch den Klimawandel entstehen, auf die Kosten der Produkte oder Dienstleistungen umgelegt werden. Einige US-Bundesstaaten, die mit der Tatenlosigkeit des Weißen Hauses nicht einverstandenen sind, haben sich daran gemacht das politische Vakuum zu füllen. Kalifornien schreitet in der Klimapolitik fleißig voran (beim Flottenverbrauch in der Automobilbranche, beim Entwurf eines Cap&Trade-Systems und einigem mehr), und eine Vielzahl von Staaten hat bereits angekündigt, dem Beispiel von Gouverneur Arnold Schwarzenegger zu folgen. An der Ostküste tritt voraussichtlich 2009 mit der Regional Greenhouse Gas Initiative ein weiteres regionales System für den Emissionshandel in Kraft, an dem mindestens zehn, möglicherweise 13 Staaten teilnehmen werden. Den Unternehmen sind unterschiedliche Normen in den einzelnen Bundesstaaten aus Kostengründen und logistischen Erwägungen verhasst. Als Kalifornien in den 1980er Jahren den Katalysator einführte, produzierten die Autohersteller lieber gleich für ganz Amerika gemäß des neuen Standards. Damals schwappte schließlich die grüne Welle selbst nach Europa über.

Viele Maßnahmen versprechen Gewinn

Auch auf nationaler Ebene werden im Kongress unterschiedliche Vorlagen für ein System zum Handel mit Emissionen diskutiert. Ziel ist eine fixe Obergrenze für den Ausstoß von Treibhausgasen. Welcher Ansatz sich auch immer durchsetzt, es gibt keinen Zweifel daran, dass klimaschädigende Emissionen auch in den USA bald einen Preis bekommen. Sollte der Durchbruch dazu nicht mehr in diesem Jahr gelingen (weil sich in den beiden Kammern des Kongresses keine einvernehmliche Lösung findet, oder weil der Präsident sein Veto einlegt), dann wird der 44. Präsident der Vereinigten Staaten, der im Januar 2009 ins Amt eingeführt werden wird, darum bemüht sein, die notwendigen Mehrheiten herzustellen, gleich, ob er oder sie nun Hillary Clinton, Barack Obama oder John McCain heißt. Alle drei Kandidaten haben sich in der Vergangenheit vehement dafür ausgesprochen, den Klimawandel mit einem marktwirtschaftlichen System zu bekämpfen.

In der amerikanischen Wirtschaft scheint sich langsam die Überzeugung durchzusetzen, dass eine Verschleppungstaktik in Sachen Klimapolitik letztlich teurer kommt, als der sofortige, schrittweise Einstieg in alternative Lösungen. Dieser Bewusstseinswandel wird belegt von einer Reihe von Studien, in denen untersucht wurde, ob und wie niedrige Obergrenzen für die Emission von Treibhausgasen zu bezahlen seien. Was der Stern-Report für die Weltwirtschaft errechnete, gilt demnach auch für die amerikanische Ökonomie: Nach einer Zeit der Amortisierung bringen solche Maßnahmen Gewinn, Untätigkeit hingegen führt zu immer größeren Kosten – und den oben aufgeführten Nachteilen auf dem Markt. Vor diesem Hintergrund wird der Positionswechsel amerikanischer Unternehmen nachvollziehbar. Zugleich zeichnet sich so ab, dass die US-Wirtschaft Teil der Lösung des Klimaproblems werden kann, statt einer der Hauptverursacher zu bleiben. The times they are a-changing. Wer würde da nicht mit einstimmen?

* Dieser Artikel wurde mit Mitteln der EU finanziert.

Alexander Ochs ist Senior Fellow des American Institute for Contemporary German Studies (AICGS) an der Johns Hopkins University. Er ist Mitbegründer des International Network To Advance Climate Talks (INTACT) und Gründungsherausgeber von FACET – Forum for Atlantic Climate and Energy Talks. Nebenbei unterrichtet er an der City University of New York. Zwischen 2002 und 2007 war er Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik.


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